Gemischte Stimmen

Gemischte Stimmen bestehen aus mehreren Pfeifenreihen pro Register. Man kann bei solchen Stimmen eine Reihe verschiedener Typen unterscheiden wie mehrfache Grundregister gegenüber Aliquotstimmen oder repetierende und nicht repetierende Stimmen.

 Mehrfache Grundregister sind etwa das Register „Bifara“, bei dem zwei 8’-Pfeifen (oft als Doppelpfeife mit zwei Labien) auf einer Schleife stehen, oder die doppelte Besetzung von Streicherstimmen (im süddeutschen Orgelbau, etwa bei Gabler oder Freywiß) Prinzipalen oder Flöten (vgl. die Orgel in Amsterdam). Im weiteren Sinne zu diesen zu zählen – auch wenn sie in der Regel mit einzelnen Registerzügen geschaltet werden – sind Schwebungsregister wie die typisch italienische Prinzipalschwebung „Voce umana“. In anderen Orgellandschaften waren alternativ schwebend gestimmte Streicher- oder Flötenregister beliebt. Die schwebend gestimmte Registerreihe kann nur in Verbindung mit einem bestimmten weiteren Register gleicher Machart und Fußlage (meist 8’) ihren besonderen Effekt entfalten.

Da nicht immer jedem Organisten geläufig war, welche Register nun miteinander kombiniert werden mußten, haben Orgelbauer oft entsprechende Hinweise angebracht, wie z. B. im Falle der Orgel zu Maihingen von Johann Martin Baumeister, der bei der Aufschrift zur Flötenschwebung „Cythara“ 8’ den Vermerk „mit der Flauten allein“ dazusetzte. Eine andere Möglichkeit, die der entsprechenden technischen Verbindung zweier Registerzüge, realisierte Heinrich Trost in seiner Orgel in Waltershausen, wo das Register Vox humana nur zusammen mit der Hohlflöte 8’ gespielt werden kann – allein oder in anderen Kombinationen ist der Registerzug ohne Wirkung. Das Vorkommen und die konkrete Machart solcher mehrfach besetzter Grundstimmen ist somit sehr charakteristisch und kennzeichnend für einzelne Orgelbauer oder bestimmte Orgellandschaften.

Aliquoten
Die Funktion der Aliquotstimmen ist die einer Obertonverstärkung der generell etwas obertonarmen Labialstimmen. Aliquoten wurden über Jahrhunderte gerne genutzt, um bestimmte Klangfarben zu synthetisieren, beispielsweise, um allein mit Labialen den obertonreichen Klangcharakter einer Zungenstimme zu erzeugen. Auch Mixturen sind mehrfach besetzt – ihre Funktion ist aber eher die einer Klangkrone, um dem Orgelton besonderen Glanz zu verleihen.

Eine größere Zahl gemischter Aliquotstimmen repetiert nicht, d.h. ihre Fußlage bleibt über die gesamte Klaviatur gleich. Zu diesen zählen die folgenden Register, die (mit wenigen Ausnahmen) überall dieselbe Zusammenstellung enthalten

Rauschpfeife 2f.:                               22/3’     +         2’        (Naturtöne 3+4 zu 8’)
Sesquialtera 2f.:                                22/3’     +         13/5’   (Naturtöne 3+5 zu 8’)
(Variante:)
Sesquialtera 3f.:                                22/3’ + 2’ +     13/5’    (Naturtöne 3-5 zu 8’)

Hörnl 2f.:                                            2’          +         13/5’   (Naturtöne 4+5 zu 8’)
Terzian 2f.:                                         13/5’      +         11/3’   (Naturtöne 5+6 zu 8’)

Gelegentlich werden diese Register, aber dann meist nur einmal innerhalb der Klaviatur, repetierend gebaut, etwa Sesquialtera wie folgt: auf den Tönen der tiefsten Oktave erklingen zuerst 11/3’+4/5’, ab c dann 22/3’+13/5’ bis zum Oberende.

Manche dieser Register sind regionaltypisch: Rauschpfeife war beispielsweise ein vorwiegend im norddeutschen Orgelbau verwendetes Register, die dreifache Sesquialtera charakteristisch für einige westdeutsche Orgelbauer, Hörnl dagegen eine süddeutsche Besonderheit.

Ein weiterer Sonderfall einer gemischten Stimme ist das für französische Orgeln typische (aber diesem Vorbild folgend weit über Frankreich hinaus verbreitete)

Cornet/Recit 8’ 5f.:                           8’+4’+22/3’+2’+13/5’  (Naturton 1+2+3+4+5)

als charakteristische Solostimme. Einzelne Orgelbauer bauten das Register nur vierfach (ohne fest gekoppelten 8’) oder dreifach (ohne 8’ und 4’), um dem Organisten eine gewisse Auswahl zu ermöglichen, welche Register tieferer Lage er dazuziehen wollte. Wenn das Register fünffach, d.h. als vollständige Kombination disponiert wurde, war das 8’-Register in der Regel ein Gedackt oder eine Rohrflöte, das 4’-Register ein Prinzipal. Das Cornet 5f. wurde üblicherweise nicht über den gesamten Klaviaturumfang gebaut, sondern nur für die Diskanthälfte (meist ab c1).

Im Gegensatz zu den bisher erwähnten gemischten Registern repetieren Mixturen mehrfach. Zu den Mixturregistern gehören neben der eigentlichen Mixtur die Register Scharf und Zimbel. Auch bei diesen gibt es regionale Unterschiede. Gemeinsam ist ihnen, dass sie traditionell aus Oktaven und Quinten über dem Grundton bestehen (Naturton 2/4/8/16... bzw. 3/6/12..., jeweils einzeln oder auch mehrfach). Im Verlauf des 18. Jahrhunderts stellten einzelne Orgelbauer aber auch Terzreihen in die Mixtur; solche Mixturen wurden später „Scharf“ genannt, obwohl dieses Register ursprünglich ebenfalls keine Terzen besaß.

Die ältere Orgelbauerpraxis unterschied die drei Register nach genereller Höhenlage: die Mixtur besaß relativ tiefere Pfeifenreihen als das Scharf, dieses wiederum tiefere als die Zimbel (bezogen auf den jeweiligen Grundton). Begann beispielsweise die Mixtur auf C mit 2’ (+11/3’+1’ ...; Naturton 4/6/8 ff.), begann das Scharf etwa mit 1’ (+2/3’+1/2’ ...; Naturton 8/12/16 ff.) und die Zimbel mit ½’ (+1/3’+1/4’; Naturton 16/24/32).

Doch ließen sich diese Intervalle über dem jeweiligen Tasten(grund)ton nicht über den gesamten Umfang fortsetzen: Über C erklang als höchster Ton einer solchen Zimbel das c4. Bei einem angenommenen Oberende der Klaviatur von c3 hätte über diesem Grundton entsprechend ein c8 erklingen müssen mit einer Pfeifenlänge von 1/64’ gleich etwa 4 mm – nicht nur dass es kaum noch möglich ist, eine solche Pfeife zu bauen und zu stimmen, der Ton läge zudem bereits jenseits des menschlichen Hörvermögens im Ultraschallbereich.

Die „Repetition“ dieser Register bedeutet daher, dass jede einzelne dieser Pfeifenreihen einer Mixtur, einer Zimbel usw. spätestens beim Erreichen eines bestimmten Grenztones (meist c5 gleich 1/8’, der „Plafond“/die Höhengrenze einer Orgel) um ein oder zwei Oktaven nach unten versetzt weitergeführt wird.

 Beispiel: Zimbel 3f. zu Beginn: ½’+1/3’+1/4’ zum Grundton

Grundton 8’
Grundton 8’
Oberende der Klaviatur
Oberende der Klaviatur

Bei der hier beschriebenen Repetition würden über jedem Klaviaturton die innerhalb der dritten und vierten Oktave liegenden Oktav- und Quinttöne dazuerklingen, unabhängig davon, in welcher Oktave der Grundton selbst liegt. Am Oberende der Klaviatur sähe das Klangbild dann entsprechend so aus:
Zimbelfußlagen am Ende: 4’+22/3’+2’ zum Grundton 8’:

Diese Art der Zimbelrepetition jeweils zwischen c/cs und f/fs (außer in der untersten Oktave) wäre dem Ohr noch etwas zu auffällig. Da aber die Hörer die Repetition - etwa beim Spiel von Tonleitern - keinesfalls bemerken sollen, haben manche Orgelbauer verschiedene Methoden entwickelt, die Repetitionen noch mehr zu kaschieren, etwa indem die einzelnen Register (wenn – wie nicht selten - mehrere in der Orgel vorhanden) an unterschiedlichen Punkten und zudem noch öfter repetieren. Ein weiteres Mittel ist das Vervielfachen einzelner Töne innerhalb der Reihen (faktisch die Regel bei einer Besetzung mit mehr als vier oder fünf Pfeifenreihen).

Die vielfachen und repetierenden Register stellen ein der Orgel ganz eigentümliches Mittel der Klangerzeugung dar, das in der Geschichte ihrer Klangästhetik eine besondere Rolle gespielt hat. Ohne solche Register würden einer Orgel einige ihrer wichtigsten und charakteristischen Klangkomponenten fehlen. Ohne den Glanz der Mixturen und Zimbeln ist der Klang des „vollen Werks“ nicht vollständig.

 

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