Tangentenflügel von Späth & Schmahl, 1801
Bad Krozingen, Schloss: Neumeyer-Junghanns-Tracey-Sammlung
Der Tangentenflügel stellte um 1770 eine ernstgenommene Alternative zu Cembalo und Pianoforte dar. Wie beim Pianoforte wurden die Saiten angeschlagen, allerdings durch “Tangenten“, beweglich gelagerte Holzstreifen, die wie Cembalospringer auf den Tasten saßen. Das Instrument konnte durch verschiedene Register sehr cembaloähnlich, aber auch wie ein Pianoforte klingen und besaß zudem dessen Ausdrucksmöglichkeiten. Nach 1800 geriet der Tangentenflügel allmählich aus der Mode.
Échantillon musical:
Ausschnitt aus Carl Philipp Emanuel Bach:
Variationen über "Les folies d'Espagne", Wq 118
gespielt von Rolf Junghanns auf dem Tangentenflügel von Späth & Schmahl 1801, Bad Krozingen
Der Tangentenflügel war eine - für die Zeit um etwa 1770 – geradezu geniale Erfindung: Er vereinigte die wichtigen Elemente der traditionellen Tasteninstrumente Clavichord und Cembalo sowie des neuen Pianofortes in einem Instrument. Auf dem Hinterende der Taste ruhte eine Tangente ähnlich der des Clavichords, jedoch lose wie ein Cembalospringer und bei Tastendruck schnellte sie wie ein solcher nach oben, doch schlug sie von unten an die Saite wie der Hammer eines Pianofortes. Der Klangcharakter war klar und obertonreich wie ein Cembalo, konnte aber beim Gebrauch des Moderators den des Pianofortes annehmen. Der Anschlag war leicht wie der des Cembalos und doch dynamisch modulierbar wie eine Verbindung von Clavichord und Pianoforte.
Animation der Mechanik eines Tangentenflügels:
Das Instrument muss während einiger Jahrzehnte in seinem Verbreitungsgebiet im Süden des deutschen Sprachraums ein ernsthafter Konkurrent für alle anderen Tasteninstrumente gewesen sein und sich einiger Beliebtheit erfreut haben. Mozart und sicherlich auch andere seiner Zeitgenossen haben es gekannt und geschätzt, und möglicherweise sind viele klassische Klavierwerke vor 1800 mit dynamischen Angaben im Notentext nicht für das Pianoforte, sondern für den Tangentenflügel komponiert worden.
Warum sich letztlich nicht der Tangentenflügel, sondern das Pianoforte durchgesetzt hat, ist nicht einfach zu beantworten. Es fällt auf, dass nur wenige Betriebe Tangentenklaviere herstellten. Vielleicht hielten die Erfinder Franz Jacob Späth (1714-1786) und Christoph Friedrich Schmahl (1739-1814) die Einzelheiten ihrer Konstruktion zu lange verborgen und fanden deshalb weder viele Nachahmer noch spätere Nachfolger, erst recht nicht im Ausland. Auch existieren kaum irgendwelche platzsparenden Modelle in Tafelklavierform oder aufrechtstehende Varianten mit einer solchen Tangentenmechanik – und gerade die Tafelklaviere und aufrechten Giraffen-, Pyramiden-, Schrank- und Lyraflügel spielten für die Verbreitung des Pianofortes eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dennoch war der Tangentenflügel offenbar für die Zeitspanne von etwa 1770 bis 1800 eine ernstgenommene Alternative zu Cembalo und Pianoforte.
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