Einer der wenigen erhaltenen Hammerflügel, die über ein Orgelregister verfügen. Das überblasende Flötenregister verleiht dem Klang des Flügels eine zauberhafte Anmutung. Mit den anderen Klangveränderungen dieses Instruments, Janitscharen, Fagott, Moderator und Dämpferhebung, standen dem Musiker Klangpotentiale zur Verfügung, die dem Vortrag zum Beispiel von Variationen oder Tongemälden besondere Dimensionen hinzugefügt haben. Dazu kommt je ein Pedal zur Betätigung der Balganlage sowie zum Spiel des Orgelregisters allein bzw. mit dem Pianoforte.
Böhm war ein außerordentlich innovativer Klavierbauer, derartige Hammerflügel mit einem zusätzlichen Orgelregister waren nicht seine einzige Neuerung. Zu seinen Erfindungen zählten auch eine Transpositionsmechanik und ein Notenwendeapparat. Ein Hinweis auf Böhms erste Hammerflügel mit Flötenregister verweist auf das Jahr 1821:
"1821 hat der Claviermacher Jos. Böhm in Wien ein Pianoforte vollendet, mit welchem ein 51/2octaviges Flötenwerk, dessen Pfeifen horizontal am Boden liegen, verbunden ist, so daß das eine oder andere allein oder beide zusammen gespielt werden können." (Stefan Edler von Keeß: Beschreibung der Fabricate, welche in den Fabriken, Manufacturen und Gewerben des österreichischen Kaiserstaates erzeugt werden. Mit einem vollständigen Grundrisse der Technologie 2, Wien 1823, S. 199)
Da die Herstellung eines derartigen Instruments besonders aufwendig und kostspielig war, sind wohl nur wenige derartige Orgelflügel entstanden. Ob unser Instrument das erwähnte Instrument von 1821 war, ist eher unwahrscheinlich, da der Tonumfang des Orgelregisters nicht mit dieser Beschreibung übereinstimmt. (siehe Bild), mögen Zweifel aufkommen, wie unter dem Unterboden noch anderthalb Oktaven mehr aufgereiht werden sollten. Die abgerundete Corpusform wie hier ist ebenfalls charakteristisch für die Jahre von 183, und wurde abgelöst durch eine kantige Form mit ausgeprägten Ecken.
In Aufbau und Mechanik ist das Instrument außerordentlich kunstfertig gearbeitet. Joseph Böhm zeigt hier sein handwerkliches Können und seine gestalterische Kraft im Klangraum. Das Instrument ist für die Musikforschung auch deshalb von Bedeutung, weil die Orgelpfeifen einen eindeutigen Stimmton vorgeben. Mehr
Die historische Stimmanleitung zu diesem Instrument in italienischer Sprache lässt vermuten, es dürfte ursprünglich für einen Auftraggeber in den italienischsprachigen Kronländern der k.k. Monarchie angefertigt worden sein. Da jedoch das Instrument heute einer Stimmung auf diesen historisch determinierten Stimmton von 432 Hz statisch nicht mehr standhält, lag eine besondere Aufgabe darin, einen Satz neuer Orgelpfeifen nach den alten Mensuren auf tieferem Stimmton herzustellen, damit das Instrument mit seinen besonderen Klangmöglichkeiten erneut erfahren werden kann.
Musikalische Interpretation wird in hohem Maße vom Klangmittel bestimmt. Klangvariationen, wie sie dieser Flügel zulässt, bergen eine Fülle von Ausdrucksmöglichkeiten, die anders kaum zu erschließen sind. Dabei ist der handwerkliche Aufbau des Instrumentes ebenso von Bedeutung wie der musikkulturelle Kontext, in dem Musikinstrumente wie dieses ihre Wirkungen entfaltet haben.
Technische Klangvariationen durch die hier besonders reichhaltigen "Mutationen" waren künstlerisch immer wieder umstritten, abgesehen von den "Forte" (Dämpferhebung)- und "Piano" (Verschiebung bzw. Moderator)-Pedalen. Dennoch sind derartige Gestaltungsmittel von einigen auch als wesentliche Elemente und Bereicherung der Ausdrucksmöglichkeiten des Pianofortes betrachtet worden, die nicht zuletzt mit höheren Preisen bezahlt werden mussten. Käufer solcher Instrumente suchten daher diese Klangmöglichkeiten ganz bewusst und bezeugen so bis heute, dass derartige Mutationen zur historischen Interpretation von Klaviermusik besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts selbstverständlich beigetragen haben.
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