Zwei der für die Entwicklung des Klavierbaus und der Klaviermusik wohl bedeutsamsten Ereignisse nach 1800 hatten mit Musik fast nichts zu tun: der Wiener Kongress 1815 und die erste Weltausstellung 1851.
Der Wiener Kongress markierte nach der Niederlage Napoleons das Ende der Kriege in Europa und damit der Kontinentalsperre. Diese hatte zwar das Vereinigte Königreich von europäischen Festland isolieren sollen, hatte aber auch den gegenteiligen Effekt, Kontinentaleuropa vom Überseehandel abzuschotten. Nunmehr aber war der Markt für Klaviere in Übersee nicht mehr allein eine Domäne der englischen Hersteller; jetzt erreichten Waren aus Großbritannien die übrigen europäischen Länder ebenso wie festländische Exporteure das britische Empire mit Waren belieferten. Binnen weniger Jahre standen die Klavierbauer, die vordem oft nur regionale Märkte versorgt hatten, miteinander in einer gesamteuropäischen und bald weltweiten Konkurrenz.
Die erste Weltausstellung im Londoner Crystal Palace 1851 verschärfte dies noch. Als dort plötzlich die Erzeugnisse der namhaftesten Klavierhersteller Europas und Nordamerikas zum unmittelbaren Vergleich nebeneinander versammelt waren, bedeutete dies das faktisch das Ende aller verschiedenen Sondermodelle, egal ob es sich dabei um persönliche, regionale oder ästhetisch begründete Besonderheiten handelte. Das fortschrittsbegeisterte Jahrhundert feierte die „besten“ und „fortschrittlichsten“ Erzeugnisse der Zeit – und nur diese sollten später noch eine Chance haben, auch gekauft zu werden. Nach diesem Ereignis setzte überall eine Standardisierungswelle ein, die gerade im Klavierbau besonders deutlich wurde. Binnen weniger Jahrzehnte waren der tropenfeste Gusseisenrahmen, die Doppelrepetitionsmechanik, die überkreuzte Bespannung, der Tonumfang von acht Oktaven und am Ende sogar der schwarze Einheitsanstrich allgemein verbreitet und der „weltweite Einheitsflügel“ des 20. Jahrhunderts war entstanden. Da die Einzelteile nunmehr standardisiert waren, bestand die Tätigkeit mancher Klavierbauer nur noch in der Herstellung der Gehäuse, in die die nunmehr aus spezialisierten Zuliefererbetrieben stammenden Einzelteile montiert wurden.
Die Vielfalt der unterschiedlichen Klavierklänge eines deutsch-österreichischen, französischen oder englischen Flügels der Zeit vor 1850 war Vergangenheit – eine Vergangenheit allerdings, in der die meiste Klaviermusik, die heute noch das Repertoire prägt, entstanden war. Beethoven etwa besaß selbst während seines Lebens sowohl englische als auch typische Wiener Instrumente. Chopins Werke klingen auf einem Wiener, Pariser oder Londoner Flügel seiner Zeit deutlich hörbar unterschiedlich – und er selbst hat alle derartigen Instrumentenmodelle kennengelernt und auf seinen Reisen auch gespielt. Die entscheidenden Kriterien für denjenigen Klavierklang, der im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts überall angestrebt wurde, prägte schließlich Franz Liszt als Pianist wie als Komponist: kraftvoll, fähig und in der Lage, mit einem großbesetzten Orchester wettzueifern, sowohl in der Lautstärke als auch in der „Präsenz“ des Klanges im großen Konzertsaal. Ein Klavier, das „singen“ konnte, war nicht mehr gefragt, es mußte auch „donnern“ können.
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