Die weitere Entwicklung des Pianofortes basiert auf den Instrumenten aus der Zeit kurz nach der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Filzbespannung der Hämmer, die Doppelrepetitionsmechanik, die überkreuzte Führung der tiefsten Saiten und der Gußeisenrahmen bildeten die technischen Hauptbestandteile, die fortan nicht mehr wesentlich verändert wurden. Wie es danach weiterging, kann mit wenigen Schlagwörtern beschrieben werden: größer, schwerer, lauter. Der Tonumfang reicht heute von den Untergrenzen des Kontrafagotts bis zu den höchsten Lagen der Violine und Piccoloflöte. Das Gewicht erreicht die Größenordnung eines Autos, die Lautstärke erfüllt einen Konzertsaal mit Hunderten von Sitzplätzen.
Ein Blick zurück in die Zeit Mozarts verdeutlicht die Unterschiede: Um 1780 konnte etwa ein Flügel von Stein zur Not von zwei Personen getragen werden. Mozart schrieb beispielsweise drei Klavierkonzerte (KV 413-415) mit Bläserstimmen ad libitum, Konzerte also, die auch nur mit Begleitung durch ein Streichquartett kammermusikalisch aufgeführt werden konnten. Das Pianoforte gleich welcher Form war primär ein „Kammer“-Instrument, das für die Aufstellung in Wohnräumen gedacht war, ob nun aufrecht oder in Flügelform im repräsentativen Salon oder als Tafelklavier in der „guten Stube.“ Die Intonation eines solchen Instruments nahm darauf selbstverständlich Rücksicht, denn das Nebeneinander mit anderen Möbelstücken, ob nun mit schallreflektierenden harten Oberflächen oder dämpfenden Polsterbezügen, beeinflusste den Klangeindruck im Raum ebenso wie die relative Nähe zwischen Instrument und Publikum. Dem entsprach eine klare und deutliche Tongebung in allen Frequenzbereichen, ein leichter Anschlag und eine vergleichsweise schwache Besaitung mit relativ dünnen Saiten, was wiederum die Resonanzqualität der durchweg aus Holz gebauten Instrumente förderte. Das Zusammenwirken der einzelnen Komponenten zueinander stellte ein sorgfältig ausbalanciertes System der Kräfte dar, das nicht wesentlich verändert werden konnte, ohne Schaden zu nehmen: ein kräftigerer Anschlag, erreicht durch schwerere Hämmer, erforderte kräftigere Saiten, deren höhere Spannung wieder eine Verstärkung der Holzkonstruktion und Stabilisierung durch Metallbauteile, um nicht zu kollabieren usw. usw.
Der große Konzertflügel des ausgehenden 19. und 20. Jahrhunderts ist hingegen ein Instrument, das einerseits dem Konzertsaal und dem Klangvolumen des großen sinfonischen Orchesters und andererseits in immer stärkeren Maße den Bedingungen der Tonaufnahme (und dem Mikrophon als „künstlichem Ohr“) gerecht werden muß. Die notwendige Lautstärke erfordert stark gespannte und steife Saiten, die wiederum mit vergleichsweise schweren Hämmern angeschlagen müssen, was nur durch eine dicke Filzbespannung der Köpfe bewerkstelligt werden kann. Der hieraus resultierende kräftige, aber am Hammerkopf weiche Anschlag benötigt eine Mechanik, die den Fingerdruck um ein Vielfaches verstärkt, um die Hämmer überhaupt in Bewegung zu setzen und sie mit entsprechender Geschwindigkeit gegen die Saiten zu schnellen. Wären die Saiten aber weniger stark und straff gespannt und somit der Rückstoß nach dem Anschlag geringer, würde der dicke Hammerfilz die Saiten beim Anschlag sofort wieder teilweise abdämpfen. So erweist sich der moderne Konzertflügel mit all seinen technischen Komponenten – wie auch seine „Vorgänger“ – erneut als ein wohlausgewogenes System, ein „musikalisches Bauwerk,“ das allerdings in einer völlig veränderten Umgebung residiert. Als Werkzeug der musikalischen Interpretation ist es primär dieser seiner Umgebung angepaßt.
Die erforderliche Anpassungsleistung des Instruments an die darauf interpretierte Musik ist jedoch die Aufgabe des Musikers. In dem Maße, wie sich der moderne Flügel technisch wie klanglich von den Instrumenten entfernt hat, für die die Kompositionen ursprünglich konzipiert wurden, steigen die Anforderungen an den Spieler, musikalische Strukturen darzustellen, Melodielinien hervorzuheben, Stimmverläufe nachvollziehbar werden zu lassen. Insbesondere in der tiefen Lage fehlt dem modernen Flügel etwa jene Klarheit der Einzeltöne, die viele „veraltete“ Instrumente der Vergangenheit von sich aus besaßen und die für die Interpretation einer Invention von Bach oder einer Klavierkonzerts von Mozart so unerlässlich scheint. Die Gewinne der modernen Instrumente an Lautstärke oder Tonumfang hatten ihren Preis und oft ging ein Zugewinn an einer Tugend mit dem Verlust einer anderen einher. Es ist den heute den Musikern überlassen, unter welchen äußeren Bedingungen sie sich welches Instrumentes bedienen, und dem Publikum, welche Art der Interpretation vorgezogen wird. Wie wichtig und wie weitreichend der Beitrag des jeweiligen Instruments zur Klangwirkung von Musik sein konnte, und welche reiche Vielfalt an Klangwerkzeugen selbst eines einzigen Instruments „Pianoforte“ den Musikern der Vergangenheit zur Verfügung stand, ist jedoch in der Gegenwart allzusehr in Vergessenheit geraten.
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