Musikbeispiel:
Franz Xaver Pokorny, Sonate F-Dur, 1. Satz, Allegro spirituoso
gespielt von Christoph Hammer
Instrument: Louis Dulcken, München 1805
Neben Wien entstanden nach 1800 weitere Zentren des Klavierbaus etwa in den aufstrebenden Residenzstädten der neuen Königreiche wie Bayern, Preussen und Württemberg, während der Klavierbau in den vorher bestimmenden alten Reichsstädten wie Augsburg und Regensburg allmählich in Niveau und Bedeutung zurückging. Zwei der bedeutendsten Klavierbaubetriebe jener Epoche in Süddeutschland waren der der Familie Dulcken in München, letzte Nachkommen einer berühmten flämischen Cembalobauer-Dynastie, und der des Stein-Schülers Johann Baptist Schiedmayer in Stuttgart.
In diesen neuen Residenzen bestimmte trotz der dort angesiedelten Hoforchester und Opernhäusern vor allem die neue Schicht der adeligen und gutbürgerlichen Liebhabermusiker in den Kreisen der Hofbeamten, der höheren Militärs, der begüterten Honoratioren und Gewerbetreibenden das Musikleben. Durchaus vergleichbar den gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen zur gleichen Zeit in England war das Klavier hier ein „bürgerliches“ Instrument, dessen äußerliche Gestaltung im herrschenden Geschmack der Zeit ähnlich bedeutsam war wie dessen musikalische Qualitäten. Es waren Instrumente, deren Klangqualitäten auf die Verwendung in gediegenen Wohnräumen und Salons berechnet waren, weder zu laut noch zu vordergründig, doch noch so prägnant, dass das Nebeneinander mit Polstermöbeln, Vorhängen, Teppichen oder anderen Einzelheiten des Mobiliars ihrer Wirkung nicht allzusehr schadete. Ihr Klangspektrum unterschied sich vernehmbar von demjenigen ausgesprochener Konzertsaalinstrumente wie beispielsweise den Flügeln von Anton Walter oder Johann Andreas Stein, deren Ansprache meist direkter und die Klangunterschiede zwischen den Registern ausgeprägter waren, und deren Mechaniken deutlich empfindlicher auf den Fingerdruck reagierten.
Letztlich waren es nicht die Konzertinstrumente für die Virtuosen, sondern die Klaviere für den häuslichen Gebrauch, die auf lange Sicht die Vorstellungen prägten, wie ein „richtiger“ Klavierklang beschaffen sein sollte. Dass im Laufe der Zeit der Filz das Leder als Bespannung für die Hammerköpfe ablöste, hatte – neben der dadurch ermöglichten Zunahme an Größe und Gewicht des Hammers und der Verwendung dickerer Saiten – auch mit dem etwas „verschleierten“ Klang zu tun, den die Filzbespannung erzeugte, ein Klangcharakter, wie er auch in den durch diverse „Schallschlucker“ gedämpften Wohnräumen des 19. Jahrhunderts gleichsam automatisch entstand. Auch der verbreitete Zierat auf den Klavieren – Vasen, Deckchen etc. – und manch dekorative Beschläge waren für den Gesamtklang der Instrumente eher nachteilig.
So stehen die Instrumente der Dulcken, Deiß (Musikbeispiel unten), Schiedmayer und anderer stellvertretend für eine Zeit des Wandels in Musik und Gesellschaft, die selbst nicht von allzu langer Dauer sein sollte; denn um die Jahrhundertmitte setzte bereits ein Prozess der Zentralisierung im Klavierbau ein, den am Ende des 19. Jahrhunderts nur wenige, meist weltweit operierende Industriebetriebe überstehen sollten.
Musikbeispiel:
Franz Lachner, Klavierstück op. 9 Nr. 6
gespielt von Christoph Hammer
Instrument: Gregor Deiß, München um 1815
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