Parallelinstrument zum Broadwoodflügel für Ludwig van Beethoven (heute Budapest, aus dem Nachlass von Franz Liszt; mehr).
Tonumfang:
6 Oktaven, 73 Tasten, C1 – c4
2 Pedale, rechtes Pedal mittig geteilt
(v.l.n.r.): Klaviaturverschiebung; Dämpferhebung Bass; Dämpferhebung Diskant
Lyra (neu gefertigt 1996)
Signatur:
„John Broadwood & Sons // Makers to his Majesty // and the Princesses. // Great Pulteney Street Golden Square // London“
Besaitung:
Messing: C1 – Gis
Eisen: A – c4
Mechanik:
englische Mechanik
Das Instrument trägt die Produktionsnummer "4773" und wurde am 7. August 1810 an den Erstkunden John Weston in Brackley bei Northampton ausgeliefert (lt. Rechnungsbuch, Archiv der Fa. Broadwood; Transskription: "A 6 Octave GlF with Legs N 4773 and Cover, and boots of the // L. Keyvett Sundr – and a Case for Canterbury, yourown // addressed John Weston Esqr Brackley, Northamptonshire // delivered at the Oxford Arms Norwich Lane goes by // Malins &Co Waggons Mays").
Diese Art Hammerflügel repräsentiert das damalige Standardprodukt der
Firma unter dem Produktnamen "elegant" und zeigt einige Eigenheiten
dieses Modells wie das geteilte Dämpferpedal und die typische
Verarbeitung, die auch die langen Transportwege per Fuhrwerk wie hier,
aber auch als Schiffsfracht, wie wohl nicht nur im Falle des Flügels für
Beethoven, einigermaßen unbeschadet überstehen sollte,
Das Modell "elegant" prägt den englischen Klavierbau der Zeit um und nach 1800. Die Korpusform und die Machart mit dunklem Edelholzfurnier (Mahagoni oder entsprechende Imitation) sind kennzeichnend für die äußere Formgebung der Zeit. Das kantige Hinterende und die einfache Biegung der Seitenwand wurden bald auch in Frankreich und nach einigen Jahrzehnten auch in Mitteleuropa nachgeahmt. Typisch für die englischen Hammerflügel allgemein und die Produkte der Firma Broadwood im speziellen sind die Gestaltung, die sich je nach Kundenwunsch auch mit luxuriösen Verzierungen (Messingbeschläge, Wedgwood-Zierkeramik) weiter aufwerten ließ, und der sechsoktavige Tonumfang von C bis c4, der allerdings den Erfordernissen der kontinentalen Klavierliteratur nicht entspricht. In Wien war beispielsweise ein Umfang von F bis f4 üblich und die Klavierkompositionen der Ära Haydn-Beethoven-Schubert rechnen eben damit (und sind nur in geringem Umfang überhaupt auf einem englischen Flügel der Zeit spielbar). Diese unterschiedlichen Entwicklungen sind eine mittelbare Folge der Napoleonischen Kontinentalsperre, die es verhinderte, das englische Waren wie Klaviere nach Kontinentaleuropa, aber eben auch kontinentale Waren nach Großbritannien und Übersee exportiert werden sollten. In diesem Zeitraum entwickelten sich die klavierästhetischen Vorstellungen in England und auf dem Kontinent durchaus in ganz unterschiedliche Richtungen.
Die Firma Broadwood besteht seit 1728, als der Glarner Burkhart
Tschudi nach seiner Lehre bei Hermann Tabel in London seine eigene
Werkstatt für Cembalobau eröffnete. Diese ging nach (mittlerweile
anglisiert) Burkat Shudis Rückzug 1771 auf seinen gleichnamigen Sohn und
seinen Schwiegersohn (vorher schon Lehrling und Geselle) John Broadwood
über, welcher bald die alleinige Geschäftsführung übernahm. 1777
erarbeitete er zusammen mit Americus Backers und Robert Stodart ein
Stoßmechanikmodell, das forthin als "englische Mechanik" zu einem der
Standardmodelle für Klaviermechaniken wurde (neben der typisch
mitteleuropäischen Prellmechanik, der ursprünglichen Mechanik
Cristoforis und der Doppelrepetitionsmechanik der Firma Erard). Der
heute noch übliche Firmenname "John Broadwood & Sons" wurde mit dem
Geschäftseintritt von Thomas Broadwood 1808 eingeführt.
Die in großem Umfang erhaltenen Firmenunterlagen (heute im Surrey History Centre in Woking) offenbaren nicht nur den Werdegang durch die Generationen der Nachkommen Tschudis und Broadwoods, die bis 2008 die Firma leiteten, sondern auch wertvolle Informationen zur Entwicklung und Verbreitung des Hammerklaviers bis in die Gegenwart.
© Greifenberger Institut für Musikinstrumentenkunde | info@gimk.org