Streicherstimmen

Die Orgelbauer bemühten sich etwa ab dem 16. Jahrhundert immer mehr, die Klangfarben anderer Instrumente nachzuformen. Während die Imitation von Blasinstrumenten durch Orgelregister naturgemäß relativ bald – und oft täuschend ähnlich – gelang, lag in der Imitation des Klangs von Streichinstrumenten eine besondere Herausforderung. Um dem Streicherklang nahezukommen, mußten nicht nur der relativ obertonreiche Saitenton selbst, sondern auch die begleitenden Klangkomponenten wie etwa die spezifischen Geräusche des Bogenstrichs über die Saite imitiert werden, um auch nur entfernt den Klangeindruck eines Streichinstruments zu vermitteln.

 Dies war mit den Mitteln der Labialpfeife nicht eben einfach, da ihr eigener, relativ obertonarmer Klangcharakter von diesem Ziel sehr weit entfernt war. Die meisten Orgelbauer verfolgten schließlich den Weg, Labialpfeifen mit extrem enger Mensur zu entwickeln, die zu ihrem Grundton so viele Obertöne wie nur möglich erklingen ließen. Die Aufschnitte wurden so gewählt, daß relativ deutlich hörbare Anblasgeräusche auch den Eindruck eines Bogenstrichs vermittelten. Dabei entstand allerdings das Problem einer langsamen und – gegenüber etwa den Prinzipalen – deutlich verzögerten Ansprache der Töne. Somit konnten solche Stimmen nur in eher ruhigem Tempo und vorrangig solistisch gespielt werden. Doch dies entsprach durchaus dem Effekt, den man von derartigen Stimmen erwartete – mit ihrem unerwarteten und gleichsam ätherischen Klang die Hörer besonders anzurühren.

 
Die eigentlichen Streicherregister

 Das beliebteste Streicherregister in der Orgel war zugleich dasjenige, das am schwierigsten zu intonieren war: die „Viola da gamba“ oder kurz „Gamba.“ Die Viola da gamba galt als das Orgelregister mit der engstmöglichen Mensur, bei der der Grundton noch ansprach – ihr Pfeifendurchmesser lag nur etwa bei der Hälfte eines Prinzipalregisters. Meist zylindrisch, kultivierten einige Orgelbauer auch eine konisch zulaufende Pfeifenform unter der Benennung „Spitzgamba“. Oft waren diese Pfeifen nur mit besonderen Hilfsmitteln, sogenannten Bärten, zum Klingen zu bringen. Es ist dabei als Randnotiz bemerkenswert, dass dieses Orgelregister zu einer Zeit immer beliebter wurde, als das Instrument selbst, das damit nachgeahmt wurde, eben im Begriff war auszusterben.

Generell etwas weitere Mensur bekamen die Register, die die Instrumente der Violinfamilie nachbildeten: „Violine“ oder „Viola“ unterschieden sich nur in Nuancen der Helligkeit ihres Klanges, während das „Violoncello“ (meist als 8’ im Pedal) und vor allem der „Violon“ (16’ im Pedal) merklich grundtöniger und damit weiter mensuriert sein sollten.

 Eine zweite Gruppe der Streicherregister erinnert in der Namensgebung nicht an Streichinstrumente, sondern an Flöteninstrumente aus der Volksmusik: das „Salizional“ (von lat. salix, Weide, also etwa „Weidenpfeife“) und die „Fugara“ (eventuell von „Fujara“, einer in der Slovakei heute noch vorkommenden Flöte). Auch die Vorbilder besitzen relativ enge Mensuren und relativ obertönigen Klang.

 Die eigentliche Heimat dieser Streicherstimmen war der deutschsprachige Süden. Schon die dort im 18. Jahrhundert sehr häufigen Instrumente mit lediglich etwa 10 bis 15 Registern besaßen eine Viola da gamba im Manual; in größeren Instrumenten mit weiter ausgebautem Pedal gehörte der Violonbaß zum unverzichtbaren Fundus.

 Diese Registergruppe war in anderen Regionen zunächst nahezu unbekannt und gelangte erst im 19. Jahrhundert zu weiterer Verbreitung – dann allerdings als ein klangliches Merkmal, das man allgemein mit den Klängen der romantischen Orgel assoziierte. Dabei gehörten die Streicherregister zu den landschaftstypischen Merkmalen, die etwa eine süddeutsche von einer norddeutschen, französischen oder italienischen Orgel des Barock wesentlich unterschieden.

 

© Greifenberger Institut für Musikinstrumentenkunde | info@gimk.org