Dokumentation historischer Flügel der Klassik Stiftung Weimar
Es war uns eine besondere Ehre, im Rahmen eines Projektes im KUR-Programm zur Konservierung und Restaurierung von mobilem Kulturgut (gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und die Kulturstiftung der Länder 2007-11) die Dokumentation einiger bedeutender Instrumente der Klassik Stiftung Weimar übernehmen zu dürfen:
Hammerflügel von Sébastien Érard 1811/12 (lt. Betriebsaufzeichnungen in den letzten Tages des Jahres 1811 fertiggestellt, aber erst nach Neujahr und daher mit dem Jahr 1812 auf dem Vorsatzbrett ausgeliefert),
Hammerflügel von Nannette Stein/Streicher ca.1825 und
Hammerflügel von Jean Louis Boisselot 1846.
Der Flügel von Érard wurde in politisch unruhigen Zeiten von Großfürstin Maria Pavlovna für das Weimarer Schloss angekauft, wo er zu Kammermusiken diente. Der Streicher-Flügel hat enge Bezüge zu Hofkapellmeister Johann Nepomuk Hummel und den Musikern der Weimarer Hofkapelle, besonders der Musikerfamilie Eberwein. Auf dem Boisselot-Flügel konzertierte Franz Liszt auf seiner letzten großen Tournee 1846 und verwendete ihn danach als Kompositionsflügel in seiner Weimarer Zeit.
Diese drei Hammerflügel sind eng mit der Weimarer Klassik und ihrem Musikleben verbunden. Die Personalisierung gelingt hier nicht nur über die Besitzer, sondern auch über die Zuhörer. So dürfen wir annehmen, dass sowohl dem Érard-Flügel als auch dem Streicher'schen Instrument Goethe anregende und tiefe Musikerlebnisse verdankte.. Beethovens Musik mag mit dem Flügel von Nannette Streicher und unter dem Vortrag von Hummel eine Wirkung entfaltet haben, deren Berührung wir in Goethes Gedanken zu dieser Musik begegnen. Und zuletzt hat der Flügel von Boisselot in bewegter und anspruchsvoller Zeit Franz Liszt gedient, er war Werkzeug einer Klavierkultur, die von wenigen so nachhaltig geprägt wurde wie von Liszt selbst. So ist auch hier die klangliche Anlage und die sich ergebende Spielstruktur ein wichtiger Hinweis auf die sich beständig verändernde Idee des musikalischen Vortrags.
Da Musikinstrumente nicht Vorgefundenes, sondern Abbilder einer Vorstellung wiedergeben, werden in der Baustruktur und der Anlage der Spielmechanik poetische Ideen unmittelbar verständlich. Man kann in diesen drei Instrumenten von 1812, 1825 und 1846 einen Paradigmenwechsel der Klangideen verfolgen. Jedes hat eine andere Mechanik: der Érard-Flügel eine (nachträglich leicht modifizierte) Zugmechanik nach eigenem Entwurf von 1807, der Streicher-Flügel eine Wiener, der Boisselot-Flügel eine Englische Mechanik.. Dies verdeutlicht, dass musikalische Ästhetik und Vortrag in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Lebendigkeit und eine Vielfalt entwickelt haben, die uns gegenüber dem heute gewohnten einheitlichen Klangbild durchaus nachdenklich machen kann.
Das Projekt der Weimarer Flügel umfasste die
Dokumentation der Instrumente und archivalische Forschungen. Der
musikwissenschaftliche Teil wurde von Prof. Dr. Franz Körndle und PD Dr.
Erich Tremmel übernommen, die fotografische und zeichnerische Dokumentation von Helmut Balk.
Aus diesem Projekt, das mit der Thüringer Landesausstellung 2011 "FRANZ LISZT - Ein Europäer in Weimar" abgeschlossen wurde, sind mehrere Buchveröffentlichungen hervorgegangen:
Bilder der Mechanik des Érard-Flügels können die komplexe Anlage und präzise Ausführung der Arbeiten verdeutlichen
Oben links die Zeichnung der Mechanik zu Erards (abgelehntem) Privilegsgesuch von 1807. Später wurden in Weimar die Schnäbel der Hammerachsen gestutzt, vermutlich um einen direkteren und beschleunigten Anschlag zu erreichen. Nachfolgend Beispiele einiger Klavierwerke, die der Großfürstin Maria Pavlovna gewidmet wurden (in Weimar, Anna Amalia Bibliothek).
Mechanikteile des Nanette Streicher Flügels von 1825
Die Herstellersignatur von Franz Liszts Boisselot-Flügel. Das Jahr 1844 ist nicht das Entstehungsjahr!
Eine technische Besonderheit dieses Flügels, die von Boisselot entwickelte Unterbodenspreize, ein letztlich wenig taugliches Mittel, dem Saitenzug entgegenzuwirken.
Bei einem weiteren Hammerflügel der Klassik Stiftung Weimar, der vordem ohne Signatur anonym überliefert war, gelang bei einer endoskopischen Untersuchung der Fund einer handschriftlichen Bleistiftsignatur auf der Innenseite des Unterbodens, und damit die Identifizierung und Datierung als ein Instrument aus der Werkstatt des Stein-Schülers Johann Georg Schenck aus dem Jahr 1798.
Die vollständige Signatur (auf dem Bild der Nachname) lautet:
Joh Georg Schenck / à / Weimar / 1798 / im Monath Julii
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