Prellzungenmechanik mit Auslösung
Tonumfang: 5 Oktaven (F1-f3)
Stimmtonhöhe der Nachbauten a1 = 415 Hz
Nachbau 1:
W. A. Mozart
(1756-1791)
Sonata C Dur KV 545, komponiert in Wien am 26. Juni 1788
Varvara Manukyan (Interpretin)
Thomas Schweiger (Musikproduktion)
Stimmtonhöhe: a1 = 415 Hz
Stimmung: Neidhardt - "Für die kleine Stadt"
Aus dem 1. Satz Allegro
Aus dem 2. Satz (mit Moderator)
Nachbau 2:
W. A. Mozart (1756-1791)
Sonata C Dur KV 545, komponiert in Wien am 26. Juni 1788
Varvara Manukyan (Interpretin)
Thomas Schweiger (Musikproduktion)
Stimmtonhöhe: a1 = 415 Hz
Stimmung: Neidhardt - "Für die kleine Stadt"
Aus dem 1. Satz Allegro
Aus dem 2. Satz (mit Moderator)
Das Original des nicht signierten
Hammerflügels von ca. 1782 befindet sich
heute in der Musikinstrumenten-Sammlung des Technischen Museums (TMW) in
Wien. Es wurde in den 1990er Jahren von einem österreichischen
Händler für Musikinstrumente auf dem Dachboden eines historischen
Anwesens
gefunden. Mehr ist über die Herkunft und Vorbesitzer leider nicht
bekannt. Das
Instrument ist nicht signiert, weist aber alle in der Literatur
erwähnten Baumerkmale
der ersten Baureihe des Wiener Klavierbauers Anton
Walter
auf. Es wurde bei uns in den 1990er Jahren, vor Gründung des
Greifenberger
Instituts, fotografisch und zeichnerisch in seinem Zustand vor der
Restaurierung dokumentiert. Gleichzeitig wurde eine befundgeführte
Rekonstruktion im Verfahren des Reverse-Engineerings und mit den
Werkzeugen der
Entstehungszeit begonnen.
Zum gesamten Dokumentations- und
Restaurierungsprojekt siehe
hier den Vortrag beim Internationalen Symposium im Palais Rasumofsky Wien
1995. "Restaurieren, Renovieren, Rekonstruieren/Methoden für
Hammerklaviere" von Helmut Balk.
In der Frühzeit der Geschichte der Hammerflügel wurden Instrumente noch nicht standadisiert sondern sehr individuell gebaut. Daher können nicht signierte Hammerflügel anhand von baulichen Merkmalen oft einem Instrumentenbauer oder zumindest einer Schule zugeordnet werden. Die Merkmale, welche die Hand Anton Walters in seiner frühen Schaffensperiode zeigen und die der Hammerflügel des TMW mit
zwei weiteren frühen Instrumenten Anton Walters, dem sog. "Eisenstädter Flügel" (Eisenstadt, Haydn-Museum) und dem Flügel aus dem Besitz von W. A. Mozart (Salzburg, Mozarteum) teilt, sind
folgende:
· Die ungewöhnlich breite Basis des massiven Kurvenrasten verjüngt sich nach oben hin zur Resonanzbodenauflage. Der Rasten ist aus 5 Lagen Fichtenholz gefertigt. Ab 1785 verwendete Anton Walter diese Art des Kurvenrastens nicht mehr (siehe unten den Literaturhinweis: Michael Latcham, S. 16)
· Der Diskant besitzt 3-saitige Chöre, der Wechsel von zwei zu drei Saiten pro Chor liegt zwischen gs‘ und a'. Alle Instrumente Walters nach 1782 wechseln einen Halbton höher. (siehe Michael Latcham, S. 20.)
· Der Resonanzbodensteg besitzt nur eine Reihe Stifte und zum Schränken der Saite ist nicht, wie meist üblich, eine 2. Reihe Stifte gesetzt. Vielmehr wurden in den Steg Kerben geschnitten, mit denen die Saiten geschränkt werden (Kerbschrank). (siehe Michael Latcham S. 24)
· Der Klaviaturrahmen zeigt an seinem hinteren Ende Ausschnitte, in denen die Auslöser in einer seperat kontruierten Auslöser-Leiste befestigt sind und für Regulierungsarbeiten als Ganzes leicht entfernt werden können. Diese Ausschnitte an der Klaviatur sind beim Eisenstädter und beim Mozart-Flügel ebenfalls vorhanden, die Befestigungskonstruktion der Auslöser wurde allerdings bei letzteren beiden sehr verändert und der späteren Bauweise Walters angepasst.
· Baß- und der Diskantzwickelwand sind auf eine charakteristische Art mit der der Kurvenwand verbunden.
· Der Resonanzbodensteg zeigt bei allen drei Instrumenten im Bassbereich keine Biegung sondern einen Knick.
· Die hintere Tastenführung erfolgt in Kanzellen, deren Abdeckung mit einem Faden befestigt ist (beim Eisenstädter Hammerflügel erhalten)
· Das Dekor der Tastenfronten ist gleich.
· Auf der Taste befinden sich hochrechteckige Führungsbäckchen für den Waagbalkenstift mit charakteristischer Formgebung (bei Mozarts Hammerflügel erhalten)
· Auf den Tasten liegen die Auflagepolster der Dämpfer. Sie stehen seitlich über die Taste hinaus, weshalb die Nachbartasten mit Ausnehmungen versehen sind, die den Polstern Platz lassen. Beim Mozartflügel ist diese Situation durch Dämpferhebeböckchen inzwischen verändert, die Ausnehmungen sind aber noch vorhanden. Beim Eisenstädter Flügel stehen die Dämpfer noch ohne Böckchen auf der Taste, die Tasten sind aber in diesem Bereich so stark in der Breite verringert, dass eine Ausnehmung nicht mehr vorhanden bzw. nicht mehr notwendig ist.
· Der Schnabel ist mittels eingesetztem Ahornplättchen verbreitert (Reste beim Eisenstädter Instrument vorhanden)
· Die Holzauswahl bei der Klaviatur und der Mechanik entspricht ferjenigen beim Eisenstädter Instrument: Klaviatur Fichte, Tastenkanzellen Walnuss, Schnabelplättchen Ahorn
Wegen dieser Vielzahl an bautechnischen Ähnlichkeiten und
Übereinstimmungen des Hammerflügels aus dem Technischen Museum Wien mit
den beiden anderen Instrumenten der frühesten Bauphase kann man eine
Zuschreibung an Anton Walter deutlich untermauern.
Ein sehr interessanter und viel diskutierter Punkt aber sind die Mechaniken der beiden Vergleichsinstrumente, die bei späteren Überarbeitungen und Modernisierungen stark verändert und der späteren Bauweise Anton Walters angepasst worden sind. Ihre ursprüngliche Bauart lässt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Die zahlreichen kleinen Details, die sie mit dem Hammerflügel des TMW teilen lassen aber durchaus die Hypothese zu, dass die beiden anderen
frühen Instrumente womöglich ursprünglich eine sehr ähnlich konstruierte
Mechanik besaßen. Zu dieser Vermutung jedenfalls kam auch der
Klavierbauer und Restaurator Robert Brown (Oberndorf bei Salzburg), der
den Eisenstädter Walter-Flügel in den 1990er Jahren restaurierte und
auch die Mechanik des Flügels von TMW nachgebaut hat. (siehe den
entsprechenden Artikel von Robert Brown im Literaturhinweis unten:
Mitteilungen der Internationalen Stiftung Mozarteum, S. 160 - 170)
Folgt man nun dieser Hypothese, hätte man die Möglichkeit, sich
anhand des Hammerflügel aus dem Technischen Museum Wien der Klavierwelt
Mozarts über die Zeiten hinweg fragend und forschend anzunähern. Eine mögliche Inspiration sollte sich dabei nicht nur auf den Klang und
die Spielart konzentrieren - hier stellen sich nach mehr als 200 Jahren
tatsächlich einige Fragen - sondern vor allem auch auf die
bautechnischen Aspekte und handwerklichen Problemlösungen in der frühen
Phase des Wiener Hammerflügelbaus. Beobachtet darauf hin Korpus und
Mechanik des Hammerflügels des TMW, staunt man über die vielen kleinen Details, mit denen der
junge Anton Walter das Modell der Stein'schen Prellzungenmechanik weiter
entwickelt und seine eigenständige Wiener Klavierbauschule begründet
haben könnte.
Siehe zu Mozarts Klangwelt und seinen Klavieren hier: "Wolfgang Amadé Mozart, der Clavierspieler" von Erich Tremmel.
Literaturhinweise:
Michael Latcham: The Stringing, Scaling and Pitch of Hammerflügel built in the Southern German and Viennese Traditions 1780-1820, 2 Bd. (=Musikwissenschaftliche Schriften, Bd. 34), München 2000.
Viele Aufsätze bezüglich der wissenschaftlichen Diskussion zu den drei frühen Instrumenten Anton Walters, darunter auch derjenige von Robert Brown, finden sich in: Mitteilungen der Internationalen Stiftung Mozarteum, 48. Jg., Salzburg (2000)
Die
Besonderheit dieses Instrumentes liegt in seiner Mechanik, die sehr
eigenständig und in vielen Details ungewöhnlich ist. Michael Latcham kam
bei seinen Untersuchungen zum Schluss, sie repäsentiere in ihrere
heutigen Form mit großer Sicherheit einen tiefgreifend veränderten
Zustand, gefertigt von eher unprofessioneller Hand wahrscheinlich nach
1800. Zusammen mit Alfons Huber stellte er die Hypothese in den Raum,
die drei frühen Hammerflügel Anton Walters mit ihren deutlichen Spuren
von Umbauten hätten womöglich ursprünglich eine komplett andere
Mechanik, nämlich eine Stoßmechanik besessen.
Unsere
Hypothese geht dagegen - wie oben unter "Zuschreibung an Anton Walter"
bereits dargestellt - davon aus, dass die Mechanik in TMW die
womöglich
frühesten Version einer eigenständigen Innovation Anton Walters
darstellt, die in ähnlicher Form auch bei den beiden anderen frühen
Instrumenten Walters vorhanden gewesen sein könnten. Für diese Hypothese
spricht sich auch Robert Brown aus und beschreibt ausführlich die
relevanten Indizien (in: Mitteilungen der Internationalen Stiftung
Mozarteum 2000, S. 160 - 170), die hier nochmal kurz gezeigt werden
sollen:
1.) Alle drei Instrumente besitzen, wie oben bereits kurz erwähnt, an der Rückseite der Klaviatur-Wangen Ausschnitte, die nur noch bei TMW eine eindeutige Funktion, nämlich die Aufnahme und Lagerung einer Auslöser-Leiste, besitzen. Bei den beiden anderen Instrumenten sind sie nach den Umbauten der Mechanik funktionlos geworden.
2.) Die ungewöhnlich geformten Kapseln bei TMW sind breitflächig auf die Hinterenden der Tasten aufgeleimt. Deutlich sichbare Spuren eines abgelösten Teils dieser Größenordnung und damit womöglich dieser Art von Hammerkapseln finden sich auch auf den Tasten-Hinterenden des Eisenstädter Flügels (so beschrieben von Robert Brown in seinem Artikel Klaviatur, Mechanik und Dämpfung des Mozart-Flügels im Vergleich zum "Eisenstädter Flügel" von Anton Walter, in: Mitteilungen der Internationalen Stiftung Mozarteum, 48. Jg., Salzburg 2000). Auf den Tastenhinterenden des Hammerflügels, den W. A. Mozart 1782 erwarb, gibt es nach tiefgreifenden Umbauten der Mechanik, die wahrscheinlich bei der Übergabe an den Sohn Franz Xaver Wolfgang Mozart erfolgten, lediglich nur noch wenige sichtbare Spuren, die man eventuell dem Entfernen der hölzernen Kapseln zuordnen könnten. Insgesamt aber ist die Spurenlage zur ursprünglichen Mechanikform bei diesem prominenten Instrument wegen der Umbauten und Restuarierungen sehr lücken- und rätselhaft.
3.) Die Tasten sind an ihrem hinteren Ende in Kanzellen geführt, die von einer mit Tuch unterpolsterten Leiste abgedeckt wird. Diese Leiste ist mit eine Bindfaden fixiert und kann abgenommen werden. Alle drei Instrumente zeigen hier eine gleiche Bauart und damit das Potenzial, sehr ähnlich angelegt zu sein. Die Abdeckleiste dient bei TMW als Auflage des bauchigen Endes des Hammerstiels und fungiert damit als eine Art Fänger. Die beiden Vergleichs-Instrumente lassen einen erst nachträglichen Einbau einer Fängerleiste vermuten, waren also im ursprünglichen Zustand ebenfalls ohne Fänger. Da die Kanzellenschiede nicht verleimt sind, kann durch das Abnehmen der Abdeckleiste die Steighöhe der Tastenenden durch Herausziehen oder Einschieben der Schiede eingestellt werden, was eine Regulierungsmöglichkeit für die Spielbarkeit des Instrumentes darstellt.
Anton Walter verwendete in seinen späteren Instrumenten, die ohne Spuren tiefgreifender Veränderungen erhalten geblieben sind, die von Johann Andreas Stein eingeführte Prellzungenmechanik mit Einzelauslösung, aber mit Messing- statt Holzkapseln. Folgt man nun unserer Hypothese, TMW besäße eine frühe Version dieser Mechanik, kann man feststellen, dass er die Stein'sche Mechanik als Grundlage verwendete, aber neben seiner eigentümlichen Holzkapsel weitere Details veränderte. Ziele seiner Dataillösungen scheinen gewesen zu sein:
a) viele Möglichkeiten der Regulierung der Mechanik,
b) eine insgesamt lauterer Klang und
c)
das Weiterentwickeln der traditionellen Konzeption von Registern wie
bei Orgel und Cembalo, in diesem Fall aber das Piano und Forte
betreffend.
Für diese drei Ziele betrieb er einen hohen technisch-handwerklichen Aufwand und fand eine Reihe von raffinierten Lösungen mit vorausschauender Problemlösungsstrategie. Der Unterschied an handwerklichem Aufwand zu einer Mechanik von Johann Andreas Stein beginnt schon auf rein quantitativer Ebene: benötigt eine Mechanik-Einheit (Hammer + Auslösezungen) von J. A. Stein ca. 15 Komponenten, so kommt Walter bei seinem Flügel TMW auf mindestens 18, die Auslöser-Bank nicht mit eingerechnet. Die Summe der Mechanik-Einzelteile, die vom Klavierbauer angefertigt werden müssen, steigt dabei von 915 bei J. A. Stein auf 1098 bei Walter:
• Waagebalkenstegstift-Führungsbäckchen
oben
• Waagebalkenstegstift-Führungsbäckchen
unten [1]
• Kapsel
• Belederung Achsbohrung 2 x
• Fixierung der Belederung 2 x
• Achsen
• Hammerstiel
• Hammerkopf, Größe von Baß
bis Diskant variierend
• Belederung Hammerkopf
• Hammerkopf-Ruhepolster
• Schnabelplättchen
• Belederung Schnabelplättchen
• Auslösezunge
• Belederung Auslösezunge
• Befestigung Auslösezunge
• Feder Auslösezunge
• Führung der Feder an der Auslösezunge
• Regulierungs-Häkchen an der Auslösezunge
→ 18 Komponenten mal Anzahl der Tasten (61) = 1098 Einzelteile
[1] Da diese Waagebalkenstegstift-Führungsbäckchen
sorgfältig gearbeitet sind und bei potentiell stärkerem Anschlag und höherer
Krafteinwirkung auf die Taste eine zuverlässigere Führung gewährleisten sollen,
werden sie hier - obwohl Teil der Taste - mit dazu gerechnet.
Dazu
kommt als weiteres, ebenfalls zur Mechanik zählendes Bauteil die Auslöser-Bank, in der die Auslöser in Kanzellen
und mit einem Regulierband (siehe Fotos oben) gelagert sind. Wie bereits erwähnt, kann es leicht für Regulierungsarbeiten
am Schnabel entfernt werden - ein Möglichkeit, die Stein für seine
Mechanik nicht vorsieht. Bei ihm sind die Auslöser direkt am Klaviaturrahmen befestigt.
In späteren Instrumenten vereinfachte sich Anton Walter die Arbeit mit der Verwendung zugelieferter Messingkapseln, da die hölzernen Kapseln, wie sie beim Flügel TMW vorliegen, sehr aufwendig und in vielen Arbeitsschritten (siehe unten zu den Kapseln) zu fertigen sind.
Ein wesentliches Merkmal der Mechanik von TMW
besteht darin, dass die einzelne Kapsel und das Hinterende des
Hammerstiels wegen einer bestimmten intendierten Funktion sehr eigenständig geformt sind. Sie kommen in dieser Form heute weder bei
den überlieferten Walter‘schen noch bei den Stein‘schen Mechaniken vor und wurden bisher auch bei keinem anderen Instrument in der Fachliteratur beschrieben. Ein uns kürzlich bekannt gewordener Hammerflügel von Sebatian Lengerer, der sich heute in Maribor/Slowenien befindet, ist das erste weitere Instrument, welches uns mit dieser Kapsel-Form begegnet (für diesen Hinweis danken wir sehr Albrecht Czernin, Wien). Eine nähere Untersuchung dieses Hammerflügels, der auf den ersten Blick außer der Kapselform kaum Merkmale der Walter'schen Bauweise aufweist, steht noch aus.
Die Hammerkapsel ermöglicht die bewegliche Lagerung des Hammerstiels. Sie ist auf dem Hinterende der Taste befestigt und bringt den Hammer in die richtige Position zu den Saiten als auch zum beweglichen Auslöser, der an das überstehende Ende des Stiels angreift. Beim Flügel des Technischen Museums Wien ist die Hammerkapsel darüber hinaus so geformt, dass sie eine besondere Idee des Erbauers, nämlich eine Art Fänger des Hammers beim Zurückfall nach dem Anschlag, ermöglicht. Es sollte verhindert werden, dass der Hammer bei kräftigem Forte-Spiel unkontrolliert zurück an die Saiten prellen kann. Dies erreichte Anton Walter, indem er dem Hammerstiel an seinem Schnabel-Ende eine bauchige Form gab. Dieser ausschweifende „Bauch“ unterhalb des Schnabels ruht auf dem Tuch der Abdeckung der Führung der Tasten-Enden. Nach dem Anprall an der Saite und bei gleichzeitigem Loslassen der Taste fällt der Hammer auf diesen Bauch Damit wird durch Hebelwirkung unterstützt, dass der Hammer nicht wieder nach oben prallen kann - zumindest, wenn die Taste nach dem Anschlag gleich wieder losgelassen wird, wie es z.B. bei Staccato-Anschlägen geschieht.
Die Kapseln sind sehr detailreich gefertigt. Insgesamt sind an den Rohlingen 8 Arbeitgänge bis zum Aufsägen in die einzelnen Kapseln, und dann nochmal an jedem Einzelstück bis zu 11 weitere Arbeitsgänge erforderlich. Hinsichtlich erforderlichem Arbeitsaufwand zu beachten ist die Summierung dieser Arbeitsschritte bei 61 Einzelteilen!
Dieser enorme Aufwand rechtfertigt sich jedoch, da jeder Arbeitsgang der Lösung spezifischer Probleme zugeordnet werden kann:
a) Ein Nachteil der wegen der intendierten Fänger-Funktion nach hinten geschweiften Form der Kapsel liegt darin, dass der Hammerstiel viel Berührungs- und damit Reibungsfläche mit den Seitenwänden der Kapsel haben könnte, was seine freie Bewegichkeit einschränken würde. Daher werden die Berührungsflächen der gabelförmige Nut, in der der Hammerstiel liegt, in mehreren Arbeitsgängen so ausgeformt, dass der Hammerstiel nur im Bereich der Achse geführt wird und ansonsten frei beweglich bleibt.
b) Die Achse liegt in einer weiteren Nut auf der Oberseite der Kapsel, die mit Leder ausgeschlagen und sorgfältig mit feinen, konischen Holzdübeln verschlossen ist. Stein wählt an dieser Stelle u.a. eine Bohrung in seiner Holzkapsel, die er mit Filz auspolstert. Der Vorteil der nach oben offenen Nut, die mit konischen Dübeln verschlossen wird, liegt darin, dass man bei einem Ausschlagen und Lockern der Achse im Leder als Folge des Gebrauchs leicht nachjustieren kann, indem man den Dübel etwas tiefer einschlägt.
Damit zeigen sich an diesem fast unscheinbaren und ungewöhnlich geformten Einzelteil der Mechanik eine große Bandbreite an Überlegungen und Problemlösungen in Bezug auf die Kontrollierbarkeit des Klangs und auf die Nachregulierung der Gängigkeit der Mechanik: Das Zusammenspiel der Form der Kapsel, des Hammerstiels und der Abdeckleiste verhindern das unkontrollierte Zurückprallen des Hammers an die Saite
und dem Problem des Ausschlagens der Achsführung kann ohne großen Aufwand mit Hilfe einer eingebauten Nachjustierung abgeholfen werden.
Hypothese über den ursprünglichen Zustand der Resonanzboden-Anlage
Der Hammerflügel im Besitz des Technischen Museums Wien (TMW) weist im Inneren Spuren nicht mehr vorhandener Bauteile und einige ungewöhnliche Bauelemente auf, die in ihrer Kombination einander teilweise konterkarieren, und vermutlich als das Resultat tiefgreifender Umbauten seiner statischen Konstruktion zu bewerten sind. Es ist allerdings anzunehmen, dass solche Umbauten mit Komplettöffnung des Instruments vermutlich schon bald nach der Entstehung vorgenommen wurden und vermutlich bei Anton Walter selbst erfolgten.
Ausgangslage:
Der Innenaufbau des Korpus bei TMW zeigt aus seiner Bauphase
1 vier Streben, die vom Hohlwand-Rasten fächerförmig Richtung Basswand und Damm
verlaufen.
Ein sog. Abbund-Rasten (blauer Pfeil) verläuft schräg vom ersten Drittel des Damms bis etwa zur Mitte der Länge der Basswand (90 : 80 cm). Dieser Abbundrasten ist als Brücke geformt und verläuft über die Streben hinweg zur Basswand. Er scheint nachträglich, in einer Bauphase 2, in der Höhe reduziert worden zu sein, so dass danach der Resonanzboden nicht mehr darauf aufliegt, sondern auf seiner ganzen Fläche frei schwingt. In dieser Bauphase 2 wurde zudem noch eine weitere Strebe (gelber Pfeil) eingebaut.
Unsere Hypothese ist, dass in der Bauphase 1 der
Abbund-Rasten ursprünglich bis
unter den Resonanzboden reichte und diesen in einen schwingenden Bereich
(über
den auch der Steg verläuft) und in einen „toten“ Bereich/Blindboden
teilte, wie es heute
noch bei drei weiteren frühen Hammerflügeln von Anton Walter (Salzburg
Mozart-Geburtshaus, Eisenstadt Haydn-Haus, Rohrau Haydn-Geburtshaus) zu
beobachten ist.
In einer Bauphase 2 wurde dann - nach unserer Hypothese vermutlich vom Erbauer selbst - der Resonanzboden entfernt, der Abbund-Rasten in seiner Höhe abgenommen und ein ungeteilter Resonanzboden wieder eingebaut. Diese Situation ist zwar in unserem Nachbau klanglich sehr überzeugend, von der Stabilität des Resonanzbodens her gesehen jedoch keineswegs ideal. So zeigte das Originalinstrument vor seiner Restaurierung massive Maßnahmen zum Niederhalten des Resonanzbodens (wegen Aufwölbung durch Saitenzug)
Spuren zur Veränderung der Rasten- und Resonanzboden-Anlage, sichtbar bei herausgelöstem Resonanzboden:
1. Der Abbund-Rasten zeigte grobe Bearbeitungsspuren (blauer Pfeil) auf seiner Oberfläche, die sich durch das Abnehmen der Höhe im eingebauten Zustand erklären lassen könnten. Dazu kommen noch die durch das Abtragen des Abbund-Rastens freigelegten Leimspuren an der Verbindung zur Basswand (auf den vorliegenden Fotos aus den 1990er Jahren leider schlecht zu erkennen).
2. Eine neue Strebe wurde vom Bass-Ende des Abbund-Rastens zur Ecke des Bass-Zwickel – Hohlwand eingebracht (siehe oben gelber Pfeil). Ihre Machart unterscheidet sich deutlich von derjenigen der anderen Rasten.
3. An den Resonanzboden-Auflagen gibt es ringsherum Spuren von Rippen, die womöglich aus Bauphase 1 stammen und nicht mehr vorhanden sind. In der technischen Zeichnung (s.u.) zeigen die blauen Pfeile die Spuren der verlorenen Rippen außerhalb des Abbund-Bereichs an, die gelben diejenigen innerhalb des Abbund-Bereichs.
Ungeklärt sind die Spuren von drei Rippen (gelbe Pfeile, nur zwei im linken Bild) im klanglich toten Bereich links des Abbund-Rastens. Eigentlich sollten/müssten hier wegen des Abbundes keine Rippen sein. Rechtes Bild: Spuren von Rippen aus Bauphase 1 auf der Schürze und auf der Auflage im Diskantbereich
4. An der Unterseite des Kämpfer-Widerlagers im Bass (unten linkes Bild) befinden sich Reste des Resonanzbodens aus Bauphase 1. Die Reste besitzen eine annähernd gleiche Stärke wie der freischwingende Resonanzboden. Dies zeigt, dass der alte Resonanzboden aus Bauphase 1 entlang der Widerlager herausgesägt wurde. Um eine erneute Auflagefläche für den neuen Resonanzboden zu schaffen, wurde im Bass anschließend unterhalb des Widerlagers im Bereich der Abschrägung des Damms und der Schürze Platz geschaffen, in den ein kleines Klötzchen eingekeilt wurde, das erneut eine Auflage neben und am hinteren Ende der Widerlager darstellt. In Diskantbereich (rechtes Bild) wurde eine Leiste in die Resonanzbodenauflage entlang des Widerlagers versenkt, die die neue Auflage darstellt
Um das Klötzchen einzubringen und zu verkeilen, musste der Erbauer/Restaurator den ursprünglichen Resonanzboden, der unterhalb des Widerlagers stehen geblieben war, im eingebauten Zustand des Widerlagers herausarbeiten. Unklar ist, ob der Damm und die Schürze in Bauphase 1 bereits abgeschrägt waren. Nur dann hätte der Handwerker eine gute Möglichkeit gehabt, den Resonanzboden aus Bauphase 1 herauszuarbeiten. An der Unterseite des Widerlagers links vom Klötzchen sieht man noch die Reste des herausgearbeiteten Resonanzbodens
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