Einführung: Spanische Geschichte von der Renaissance bis gegen 1800, Musik und regionale Orgeltypen

Schlacht im Ärmelkanal 
Schlacht im Ärmelkanal

In der Renaissance waren die Ereignisse zweier Jahre von prägendem Einfluss auf die Geschichte Spaniens. 1467 gelang mit der Heirat von Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon eine Vereinigung ihrer beider Königreiche. 1492 besiegelte am Ende der Reconquista der Fall von Granada eine jahrhundertelange Vorherrschaft der Mauren auf der iberischen Halbinsel. Im gleichen Jahr fand die von Isabella finanzierte bemerkenswerte Reise des Christoph Kolumbus statt, die in der Entdeckung der Neuen Welt gipfelte. In den folgenden Jahrzehnten stieg Spanien unter Karl V. (Carlos I. 1516-1556) und Philipp II. (1556-1598) zur europäischen Großmacht auf. Nach der Angliederung Portugals 1580 dehnte sich Spanien über die gesamte iberische Halbinsel aus. Überschattet wurde die Epoche des goldenen Zeitalters durch die spanische Inquisition und die Vertreibung der Juden. Zwar schien die vernichtende Niederlage der spanischen Seestreitmacht (Armada) gegen England im Jahr 1588 das Ende dieser großen Zeit einzuleiten, doch wurde seit damals die Flotte mit umso größerer Energie ausgebaut. Daher wäre es sicher denkbar gewesen, dass Spanien seine Vormacht hätte festigen können, hätten nicht aufständische Holländer und Seeländer in einem Überraschungsangriff die Armada 1607 im Hafen von Cádiz fast vollständig zerstört. In der Folge musste Spanien einen Waffenstillstand mit den Niederlanden schließen.
Am Rande des in Deutschland wütenden 30jährigen Krieges begannen militärische Auseinandersetzungen zwischen Spanien und Frankreich. Die Franzosen hatten einen Aufstand in Katalonien unterstützt, die Spanier ihrerseits hofften mit der Unterstützung der sog. Fronde gegen Kardinal Mazarin 1648 eine vorübergehende Schwäche der französischen Monarchie für sich nützen zu können. Allerdings musste Spanien mit dem Pyrenäenfrieden von 1659 Teile des Hennegaus, Flanderns, des Artois und Luxemburgs an Frankreich abtreten. 1640 wurde Portugal nach einem Adels-Aufstand unter Herzog Braganza wieder ein unabhängiges Königreich. Spanien schied nach diesen Verlusten an Territorium und Einfluss aus dem Kreis der europäischen Großmächte aus, eine Epoche relativer Bedeutungslosigkeit schloss sich an. Dennoch pflegte Spanien weiterhin den Handel mit seinen überseeischen Besitzungen. Die Ausbeutung der dortigen Bodenschätzen, der Import von Gewürzen und neuer Feldfrüchte konnte weiterhin einen gewissen Wohlstand garantieren. Allerdings führte die Grenzziehung gegen Frankreich in den Pyrenäen zu einer weitgehenden Isolierung auf dem Landweg.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts brach nach dem Tod des letzten spanischen Habsburgers, König Karl II., eine politische Kontroverse aus, die ab 1701 in den spanischen Erbfolgekrieg zwischen einer österreichisch-englischen Allianz und Frankreich mündete. 1714 konnte Frankreich mit Philipp V. die Familie der Bourbonen auf den spanischen Thron bringen. Die spanischen Niederlande mussten an Österreich abgetreten werden. Philipp bildete aus Kastilien und Aragon einen eigenen Staat und beseitigte zahlreiche regionale Privilegien. Da die bourbonische Monarchie das französische zentralistische System nach Spanien übernahm und Verwaltung wie Haushalt modernisierte, begann das Land sich von den Folgen der Kriege wieder zu erholen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wuchs der Außenhandel noch einmal kräftig an.

Auswirkungen auf die Musik

Die Musik spiegelt die Entwicklung der Geschichte Spaniens in geradezu dramatischer Weise wider. Mit der politischen Vormachtstellung gelangte auch die Musikkultur Spaniens zu europäischer Geltung. Mit König Philipp II. bereiste der geniale Organist Antonio de Cabezón zahlreiche europäische Länder, darunter Deutschland, die Niederlande und England. Er kam in Kontakt mit den bedeutendsten Komponisten seiner Zeit (etwa Orlando di Lasso oder Philipp de Monte) und übertrug deren Werke virtuos auf das Tasteninstrument. In seiner Nachfolge erreichten Sebastián Aguilera de Heredia und Pablo Bruna zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein gewisses Niveau, das jedoch trotz ansprechender Qualität hinter der damals in Europa aktuellen Entwicklung des Komponierens verharrte. Ein Musiker wie Correa de Arauxo muss als singuläre Sonderbegabung betrachtet werden. Seine außerordentlich schwierigen und beeindruckenden Kompositionen haben gleichwohl kaum Spuren in der Musikgeschichte hinterlassen. Im Bereich der Kirchenmusik ist noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts ein Konzentrieren auf die eigene Tradition zu beobachten, das innovative Elemente kaum zuließ. Dennoch ist mit Juan Cabanilles, der über gute Verbindungen zum Süden Frankreichs verfügte, am Anfang des 18. Jahrhunderts nochmals ein Organist zu hohem internationalen Ansehen gelangt.
Mit der prosperierenden Wirtschaft konnten es sich die Kirchen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts leisten, neue und teilweise sehr große Orgeln anzuschaffen. Die riesigen Instrumente in Granada, Malaga oder Toledo zeugen von diesem Wohlstand. Wie in Süddeutschland verstört jedoch das Phänomen, dass diese exorbitante Großspurigkeit im Orgelbau nicht die geringste Spur von Entsprechung in den musikalischen Schöpfungen der zeitgenössischen Musiker hervorgebracht hat. Ganz offenbar spielte für die Verantwortlichen das Geld keinerlei Rolle. Kompositorische Qualität konnte damit freilich nicht erkauft werden.

Regionale Orgeltypen

Kurzbeschreibung:
Gehäuse, Reihen auf Windladen, über Traktur verbunden mft der Spielanlage. Dort ein bis vier Manuale=Tastenreihen und Pedal für die Füße. Die Tastenreihen steuern verschiedene Werke an, Hauptwerk, Oberwerk, Brustwerk und Rückpositiv. Die Reihen in der Front, also dfe sichtbaren Reihen, — eine kleine Minderheit— stehen nicht direkt auf den Windladen, sondern sind mit dünnen Kondukten mit der Lade verbunden.

Malaga, Grundriss mit Coro und Capilla mayor 
Malaga, Grundriss mit Coro und Capilla mayor

Orgelarchitektur und Orgeltechnik in Spanien und Portugal unterscheiden sich über die Jahrhunderte in vielen Punkten von denen in den anderen Ländern Europas, und erfordern daher eine ausführliche Darlegung.

Wie in England erhielt sich in Spanien noch bis ins 20. Jahrhundert die Eigenart des Coro (siehe am Beispiel Malaga den typischen Grundriss einer spanischen Kathedrale). Dabei handelt es sich um einen hinter der Vierung gelegenen abgetrennten Raum mit dem Chorgestühl, das von den Chorschranken umgeben ist. Davon zu unterscheiden ist der Altarraum, die Capilla mayor. Eine oder häufig auch mehrere Orgeln stehen auf dem Chorgestühl zwischen zwei Säulen. Je nach Architektur ergeben sich oft zwei Prospektseiten, eine zum Coro und eine zum Seitenschiff. Sind die Seitenschiffe niedriger als das Hauptschiff, mussten auch die Prospektseiten unterschiedlich hoch gestaltet sein.

In Klosterkirchen gibt es stattdessen einen Coro alto, einen Chorraum über dem Westeingang. Dort stehen die Orgeln an den beiden Seitenwänden. Damit sind in diesem Fall auch keine Rückprospekte möglich. In Portugal hat das Domkapitel seinen Platz im Coro alto oder in der Capilla mayor, daher stehen dort die Orgeln als Chororgeln auf kleinen Emporen an den seitlichen Chorwänden.

Bereits im 15. Jahrhundert gab es in Spanien zweimanualige Werke. Um 1800 wuchs die Größe der Instrumente und der Spielanlage bis auf fünf Manualwerke an. Im selben Zeitraum wurden auch Rückpositive gebaut, dagegen keine Brustwerke. Stattdessen findet man oft ein Unterwerk unter der Spielanlage, das direkt durch Stecher oder eine einfache Wippenmechanik angespielt wird. Sogar für das Rückpositiv arbeitete man nur mit einer Stechermechanik, erreicht mit verlängerten Kanzellen, die bis unter die Manuale reichten (bis zu 7 Meter lang). Auch bei bis zu fünf Werken wurden nie mehr als 3 Manuale gebaut. Die zusätzlichen Werke sind über Kondukten anzuspielen, die von der einen Lade zur anderen gehen. Einzeln können die Werke nur mit Sperrventilen bedient werden.

Im 18. Jahrhundert wurde das Unterwerk mit Türen zum Echowerk umgestaltet. Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts gab es in Spanien Schwellkästen (wie in England), Oberwerke dagegen nur im 16. Jahrhundert. Stattdessen stehen im oberen Gehäuse Teilwerke, die mit Kondukten mit der Hauptlade verbunden sind. Vermutlich wegen der Problematik einer unzuverlässigen Spielweise vermied man weite Trakturwege. Damit blieb die technische Anlage durchweg einfach und wartungsarm. Man bemühte sich, die Windladen schmal zu halten (etwa Tastenteilung). Für die ausreichende Windversorgung sorgten lange Ventile, die großen und nicht mehr auf dem geringen Platz der Lade selbst unterzubringenden Pfeifen wurden abgeführt. Dies geschah entweder mit Kondukten, die in den (verbreiterten) Pfeifenstock geschnitten waren oder mit separaten Konduktenröhren. Die Aufstellung der Pfeifen auf der Windlade entspricht bei den älteren Orgeln nicht der im Prospekt gezeigten Struktur. Meist ist die Anordnung der Pfeifen ganz einfach chromatisch; Die Pfeifenaufstellung auf der Windlade stimmt erst nach 1700 mit dem Prospekt überein, was auch den Bau komplizierter Wellenbretter bedingte.

Das Register Kornett ist wie in Frankreich mit Röhren hochgestellt, manchmal in zwei Etagen übereinander. Die Länge der Kondukten kann bei Prospekten bis zu 2,5 Meter betragen. Der Windkasten mit Ventilen befindet sich wegen des kurzen Weges der Traktur und zur leichten Zugänglichkeit meist vorn an den Laden. Das Übereinanderstellen der Teilwerke gewährleistete eine vollkommen flache Bauweise der Gehäuse (geringe Tiefe). Gelegentlich erhielt ein Hinterwerk einen eigenen Prospekt zum Seitenschiff. Die Aufstellung zweier Orgeln auf gegenüber liegenden Emporen im Coro erinnert an die im 16. Jahrhundert aufgekommene Art von Mehrchörigkeit.
Die in spanischen Orgeln anzutreffenden Teilwerke können als Hauptwerk, Rückpositiv, Unterwerk und Hinterwerk angesprochen werden. Gelegentlich existiert auch noch ein zweites Rückpositiv in der Rückfassade, z.B. Sevilla 1724, Málaga 1782.

Vor 1700 gibt es in Spanien durchaus Orgeln mit ausgebautem Pedal, etwa bis hin zu 21 Tönen, oft aber wurde seit dem 18. Jahrhundert nur eine Oktave konzipiert. So erfahren wir aus einer Beschreibung der Orgeln im Escorial, dass um 1600 je 8 Pedalregister (Principal 16', Bordun 16', Oktave 8', Oktave 4', Mixtur, Trompete 8', Regal und Zink) in dem Instrument vorhanden waren. Insgesamt zählte jede der beiden Orgeln 34 Register. 1701 erfolgte ein Neubau bei gleicher Größe im gleichen Gehäuse, der nur 2 Pfeifenreihen (16'+8') bei 10 Tönen umfasste. Auch die nach Antonio Solers Plänen 1778 gebaute Orgel im Palacio Real in Madrid hatte nur eine Oktave und 16'+8'.
Als Ursache für die gering ausgebauten Pedalumfänge kann die Art der Musik für die Orgel gesehen werden. Da die Komponisten in Spanien und Portugal auf eine selbständig geführte Linie für das Pedal verzichteten, konnten die Orgelbauer sich auf eine minimale Ausstattung beschränken, die ausreichte, in Schlusspassagen eine kleine Pedal-Verstärkung einzubringen. Schon 1549 hatte ein Gutachter aus Murcia über die Kaiserorgel von Toledo geschrieben: „Im Pedal sind 13 Töne, und man braucht nur 7 ganze Töne, denn der 8., das c°, ist die Wiederholung des tiefen C, und mit 7 Tönen im Pedal kann man alle Musik spielen, die es gibt und die es in der Welt je geben wird.“
Eine weitere – und wohl die auffälligste – Eigenheit spanischer Orgeln sind die horizontal aus den Prospektfronten herausragenden Zungenregister (Lengueteria). Diese Bauweise scheint sich erst seit etwa 1700 überall in Spanien wie eine Mode verbreitet zu haben. Grund dafür könnte die aus der Strukturkonzeption resultierende Raumnot in den Instrumenten sein, die Erweiterungen kaum zuließ. So nützte man die technische Möglichkeit und bohrte die Windladen von unten an, fügte Schleifen hinzu und führte die Register mit Kondukten in den Prospekt ab. In Jaca sieht man dekorative Puttenköpfe im Prospekt, die einzelne Trompetenpfeifen im Mund blasen, was die Bezeichnung Trompeta de los ángeles zum Ausdruck bringt. Meist baute man bald ein zweites horizontales Register (in Portugal bleibt es auf diesem Stand). Gelegentlich weisen die Orgeln sogar bis zu acht solche Zungenregister auf (etwa bei der Evangelienorgel in Toledo).

Bei den einmanualigen Orgeln lassen sich für die Diskantlage und den Baß jeweils unterschiedliche Register ziehen. In der Regel liegt die Teilung bei c/cis. Im Diskant findet man häufig tiefere Tonlagen als im Baß. Mit der Registerteilung sind Soloregistrierungen möglich. Die Kompositionen tragen dem Rechnung, worauf die Bezeichnung Medio registro hinweist. Dann reicht der von der linken Hand zu spielende Tonbereich bis maximal zum c, die rechte Hand benützt die Lage ab cis.

Die Spielanlage ist bei spanischen Orgeln immer ins Gehäuse eingebaut, es gibt keine freistehenden Spieltisch-Anlagen. Die Registerzüge sind nach Baß und Diskant auf die linke und rechte Seite neben der Klaviatur verteilt. Wie auch die Konzeption der Windladenaufstellung ist die Art der Trakturführung ganz auf Zuverlässigkeit und Wartungsfreundlichkeit ausgerichtet. Hängende oder mit Stechern operierende Trakturen sichern leichte Gängigkeit. In vielen Fällen gibt es keine Wellenbretter. Um von den Abständen der Tastenteilung die weit links oder rechts in den breiteren Windladen befindlichen Ventile erreichen zu können, sind die Abstrakten von der Spielanlage ganz einfach radial weggeführt. Um Probleme mit dem Eigengewicht der Abstrakten (Durchhängen) zu vermeiden, wurde streng darauf geachtet, daß der Winkel der Schrägführung nicht zu groß geriet. Daher konnten einige wenige Töne im Außenbereich der Anlage doch auch mit einzelnen Wellen bedient werden.
Als Spielhilfen und Zusatzregister kennen spanische Orgeln Tremulanten und Sperrventile, außerdem die in ganz Europa üblichen Vogelstimmen und Glockenspiele aller Art. Pedal-Koppeln wurden nicht gebaut, Manual-Koppeln nur selten.

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